Würzburger Tabelle 2023

Abfindung von zivilrechtlichen Personenschadenersatzansprüchen

Berechnungsparameter Abfindungszins

Werden Personenschadenersatzansprüche abgefunden, hat die Wahl bzw. Festlegung des Abfindungszinssatzes maßgeblichen Einfluss auf die Höhe des Abfindungsbetrages. Ein hoher Abfindungszins führt zu einer geringen Abfindungszahlung und liegt damit im Interesse des Zahlungspflichtigen (Schädiger). Umgekehrt liegt ein niedriger Abfindungszins im Interesse des Geschädigten, weil er dadurch eine höhere Abfindungssumme erhält.

Der Verlauf des (finanz-)wirtschaftlichen Umfelds ist bestimmend für den Zinssektor – und schließlich auch für die Wahl des angemessenen, den voraussichtlich entstehenden Gesamtschaden deckenden Abfindungszinssatzes. 

Angesichts der seit vielen Jahren anhaltenden Niedrigzinslage – nach dem „Peak“ im Jahre 1981 mit über + 10 % geht der Trend seit nun schon 40 Jahren – seit 1992 sogar sehr stark- , zurück. Mit Nullzinspolitik und „Strafzinsen“ auch auf Geldanlagen von Privatpersonen sind die von Seiten der Schädiger-Versicherer bis vor kurzem unisono und vereinzelt noch heute geforderten + 5 % als Abfindungszins für den Geschädigten bzw. Sozialversicherer völlig indiskutabel und fern jeder (nicht zuletzt nach § 249 I, II BGB) Realität. 

Die gebotene Sicherstellung der Schadendeckung zum Ausschluss einer Schaden-Deckungslücke war Thema des Verkehrsgerichtstages 2019 in Goslar, der sich in seinem Arbeitskreis IV mit der Abfindung von Personenschäden und der vergleichsweisen Regulierung befasst hatte und u.a. einen Zinsfuß „von höchstens 3 % bei der Kapitalisierung als Orientierungshilfe“ für die Praxis, und für die weitere Entwicklung des Schadenfalles auch der Höhe nach die Berücksichtigung einer Dynamisierung empfahl:

Zur Empfehlung des Deutschen Verkehrsgerichtstages wechseln

Die damalige Empfehlung des Verkehrsgerichtstages konnte im Jahr 2019 zwar den mittlerweile nachhaltigen Trend bei dem Rückgang der Umlaufrendite und damit einer Basisgröße bei der Bewertung der Abfindungszinshöhe berücksichtigen. Jedoch nicht die zeitlich später und nachhaltig auf Finanzmärkte und Weltwirtschaft wirkenden Einflüsse durch die beiden Krisen Covid-Pandemie und den Angriffskrieg Russlands, die beide gravierende Auswirkungen auf die mittel- und langfristige wirtschaftliche Entwicklung und Geldwertstabilität der Bundesrepublik haben und nachhaltig bringen werden.      

Berechnungsparameter Inflationsindex

Neben den Zinserwartungen spielt der inflationsbedingte Wertverlust bei der Einschätzung des künftigen Schadenverlaufes eine zentrale Rolle. Schließlich wird die Abfindungssumme während der Laufzeit, für die eine Kapitalisierung der Ansprüche erfolgt, durch den Kaufkraftverlust real gemindert. Wenn die (Lebenshaltungs-)Kosten steigen und dies bei der Kalkulation der Abfindungssumme nicht oder nicht hinreichend bedacht wurde, reichen die bei der Abfindung kalkulierten monatlichen Entnahmen aus der Kapitalsumme nicht mehr aus. Es müssen höhere Summen entnommen werden. Dadurch, verstärkt durch den damit verbundenen verlorenen Zinseszinseffekt, rückt das Aufzehren der Kapitalsumme - nicht kalkuliert - zeitlich nach vorne. Am Ende – und das kann sehr viel früher als das ehemals kalkulierte Schadendeckungsende sein – ist die Summe komplett aufgezehrt. Und damit der Restschaden nicht mehr gedeckt. Es steht somit dem Anspruchsberechtigten für die Abfindungslaufzeit ein deutlich geringerer Betrag zur Verfügung als notwendig kalkuliert bzw. erhofft. Es droht somit auch hier eine Schaden-Deckungslücke.

Dies wird durch die kräftige Inflationsdynamik zusätzlich befeuert: Betrug die Inflationsrate (Verbraucherpreisindex) bspw. im Jahr 2002 nur + 1,3 %, waren es für das Jahr 2021 schon + 3,1 %. Die Notenbank (EZB) verfolgt, offenbar ohne großen Erfolg, eine Zielmarke von konstant 2 % Inflation: Für März 2022 gibt das Statistische Bundesamt diesen Wert mit + 7,3 %  an. 
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung prognostiziert im März 2022 für das laufende Jahr + 6,2 %.  
Zum fast identischen Ergebnis kommt der Rat der Wirtschaftssachverständigen am 30.03.2022 in seiner Prognose für das Gesamtjahr 2022 mit + 6,1 %. 

Dies wäre noch ein deutlich höherer Zuwachs als im bisherigen Spitzenjahr 1992 (+ 5 %).  Aber damals betrug auch die Umlaufrendite für Staatsanleihen mit 10 Jahren Restlaufzeit fast + 10 % . 
Zum Vergleich: Im Jahr 2021 lag die Rendite deutscher Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit im Durchschnitt bei etwa -0,31 Prozent. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/200193/umfrage/entwicklung-der-rendite-zehnjaehriger-staatsanleihen-in-deutschland/).

Die national und weltweit wirkenden, und derzeit auch in ihren wirtschaftlichen Folgewirkungen unabsehbaren Krisen bergen, davon wird man ausgehen müssen, auf unabsehbare Zeit starke inflationäre Tendenzen.

Zinsniveau und Inflationswerte

Die Auswirkungen der Korrelation aus Umlaufrendite und Preisentwicklung zeigen sich in der jüngeren Vergangenheit und in der beginnenden Stagflation (gleichzeitiges Auftreten von wirtschaftlicher Stagnation und Inflation und nicht mit Maßnahmen der Global- oder Nachfragesteuerung zu beheben) aktuell sehr deutlich: Die wirtschaftlichen Variablen waren, viele Jahre schon vor der Corona-Krise, nach der Jahrtausendwende aus einem Rahmen ausgebrochen, der vorher als stabil eingeschätzt wurde. Auch die bereits eingeläutete Phase der „De-Globalisierung“, in der wegen der Aufgabe der günstigeren Herstellungskosten u. a. in Fernost zugunsten einer aus Nachhaltigkeits- und Gründen der Versorgungssicherheit erfolgenden Abkehr zu einer regionalen Fertigung die Lieferketten neu ausgerichtet werden, führt unweigerlich zu weiter steigenden Preisen. Dazu werden auch die krisenbedingt hohe Kreditnachfrage in der Realwirtschaft und die steigende Geldmenge M3 beitragen. Experten schlossen, schon vor dem Krieg in der Ukraine, Preissteigerungen über mehrere Jahre hinweg von 5% und mehr nicht aus. Jetzt muss noch mit deutlich höheren Werten gerechnet werden.

Zusätzlich werden die im 2. Halbjahr 2022 anstehenden Tarifverhandlungen die Preis-Lohn-Spirale kräftig anheizen, und nicht zuletzt werden die Rohstoff- bzw. Preise für Energie weiter steigen. 

Realzins: Instrument zur kalkulatorischen Schadendeckung 

Um die Schaden-Deckungslücke zu schließen, ist der Abfindungszins (= Nominalzins) um den Kaufkraftverlust zu mindern. Dadurch erhält man den Realzins. Mit diesem Instrument kann die Deckung des Schadens über die gesamte Laufzeit gesichert werden.
Seit 2009 und wegen der beschriebenen prognostischen Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung ergibt sich ein negativer Realzins, d.h. kleiner Null.

Selbst wenn EZB und Fed ihre Leitzinsen moderat (eine deutliche Anhebung auf das Inflationsniveau ist auch wegen der hohen Staatsverschuldungen innerhalb der EU ausgeschlossen) anheben, wird sich der Realzins weiter tief negativ darstellen.
Kalkulatorisch negative Realzinsen waren und sind an und für sich nicht ungewöhnlich (vgl. Coen, Der negative Basiszinssatz nach § 247 BGB in NJW 2012, 3330), jedoch in der schon jetzt nachhaltigen Ausprägung historisch beispiellos. 

Den beschriebenen Rahmenbedingungen Rechnung tragend muss der Realzins bei der Wahl des Abfindungszinses konsequent kalkuliert bzw. festgelegt werden, um wirtschaftlich angemessene und für beide Vergleichsparteien (Geschädigter bzw. Sozialversicherungsträger auf der einen, Schädiger bzw. Haftpflichtversicherer auf der anderen Seite) nachhaltig gerechte Ergebnisse bei der Schadendeckungs-bzw. Abfindungskalkulation zu erhalten.

Der Verlauf der Realzinsen der vergangenen 30 Jahre spricht für sich. Und schon allein deshalb eindeutig gegen eine Trendumkehr:

Soll nach einem drittverursachten Schadenfall der Schadenersatzanspruch für die Zukunft in einer Summe kapitalisiert und abgefunden werden, müssen die seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gekannten Einflussfaktoren angemessen – beispielsweise durch einen besonderen Risikozuschlag auf die kalkulatorisch retrospektiv berechnete Abfindungssumme – kalkuliert und realisiert werden, um als Anspruchsberechtigter die Chance zu haben, die finanziellen Folgen aus dem drittverursachten Schaden für die gesamte Laufzeit zu decken.

Mit dem Realzins zur Würzburger Tabelle 

Die Würzburger Tabelle setzt den beschriebenen Realzinsansatz konsequent um: Sie basiert auf den Werten der Deutschen Bundesbank für Umlaufrenditen der öffentlichen Hand der vergangenen 30 Jahre (Zeitreihe Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen / Anleihen der öffentlichen Hand / Monatswerte), und auf dem vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisindex der Bundesrepublik Deutschland (Inflationsrate Gesamtdeutschland).

Im Ergebnis spiegelt die Würzburger Tabelle den Verlauf der Vergangenheit für die (Abfindungs-)Zukunft, und dies jeweils bezogen auf die für den konkreten Abfindungsfall relevante Zeitdauer (= Laufzeit).

Zur Vertiefung wird auf die Beiträge von Kornes in der Zeitschrift „Recht und Schaden“, Heft 12/2003, Seite 485 bis 493 und Heft 1/2004, Seite 1 bis 8 und „Versicherungsrecht“ Heft 19/2015, S. 794-809 verwiesen.

In der folgenden Tabelle ist ab 1993 – im Gegensatz zu der in der Fachpublikation veröffentlichten Tabelle – der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte im wiedervereinigten Deutschland berücksichtigt.

Laufzeit Zukunft (Jahre) Bewertungszeitraum von 1993 bis 2022 Summe der Realzinssätze im Bewertungszeitraum Realer Durchschnittszins in Prozent
1 2022 -5,7 -5,7
2 2021 -5,7 - 3,4 = -9,1 -4,6
3 2020 -9,1 - 0,9 = -10 -3,3
4 2019 -10 - 1,6 = -11,6 -2,9
5 2018 -11,6 - 1,5 = -13,1 -2,6
6 2017 -13,1 - 1,6 = -14,7 -2,5
7 2016 -14,7 - 0,5 = -15,2 -2,2
8 2015 -15,2 + 0,1 = -15,1 -1,9
9 2014 -15,1 + 0,2 = -14,9 -1,7
10 2013 -14,9 - 0,1 = -15 -1,5
11 2012 -15 - 0,7 = -15,7 -1,4
12 2011 -15,7 + 0,4 = -15,3 -1,3
13 2010 -15,3 + 1,4 = -13,9 -1,1
14 2009 -13,9 + 2,8= -11,1 -0,8
15 2008 -11,1 + 1,5 = -9,6 -0,6
16 2007 -9,6 + 2,0 = -7,6 -0,5
17 2006 -7,6 + 2,3 = -5,3 -0,3
18 2005 -5,3 + 1,6 = -3,7 -0,2
19 2004 -3,7 + 2,2 = -1,5 -0,1
20 2003 -1,5 + 2,7 = 1,2 0,1
21 2002 1,2 + 3,2 = 4,4 0,2
22 2001 4,4 + 2,8 = 7,2 0,3
23 2000 7,2 + 3,9 = 11,1 0,5
24 1999 11,1 + 3,7 = 14,8 0,6
25 1998 14,8 + 3,4 = 18,2 0,7
26 1997 18,2 + 3,1 = 21,3 0,8
27 1996 21,3 + 4,3 = 25,6 0,9
28 1995 25,6 + 4,7 = 30,3 1,1
29 1994 30,3 + 4,1 = 34,4 1,2
30 1993 34,4 + 1,8 = 36,2 1,2
       

Anwendung der Tabelle

Mit Hilfe der Würzburger Tabelle kann auf einen Blick der für eine Abfindung heranzuziehende, reale Tabellenzins für sämtliche Laufzeiten ermittelt werden.

Beispiel 1 – Laufzeit 10 Jahre

In Spalte „Laufzeit“ 10 Jahre, in Spalte „realer Durchschnittszins“ den Wert ablesen: -1,5 %

Beispiel 2 – Laufzeit 30 Jahre

In Spalte "Laufzeit" 30 Jahre, in Spalte "realer Durchschnittszins" den Wert ablesen: 1,2 %

Anschließend kann mit diesem „realen“ Abfindungszins der Faktor aus den allgemein veröffentlichten Abfindungstabellen (Zeitrententabelle) abgelesen bzw. ermittelt werden.

Anpassung der Tabelle

Die Tabelle wird einmal jährlich angepasst, sobald die Daten des Statistischen Bundesamts (Preisindex) und der Deutschen Bundesbank (Umlaufrendite) für das abgelaufene Kalenderjahr veröffentlicht wurden.

Die Tabelle wurde mit Sorgfalt erstellt. Eine Gewähr für die Richtigkeit der Zahlen kann dennoch nicht übernommen werden.

Alle Informationen zur Würzburger Tabelle können Sie nachfolgend auch als PDF-Datei herunterladen: