Das BG RCI.magazin

Das BG RCI.magazin ist unsere Zeitschrift für die Mitgliedsbetriebe. Darin informieren wir viermal im Jahr über aktuelle Themen rund um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz.
Berichte von nationalen und internationalen Aktivitäten der Prävention sowie die ausführliche Darstellung unseres Leistungsspektrums, vor allem mit Blick auf die medizinische und berufliche Rehabilitation, runden das Angebot ab. Darüber hinaus berichten wir über wichtige juristische Fragestellungen oder informieren über Branchenmessen.

Für die Druckfassung wenden Sie sich per E-Mail an: redaktion(at)bgrci.de.

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Aktuelle Ausgabe 1|2024


Themenschwerpunkt:

Psychische Belastung - Ursachen, Auswirkungen und Lösungen


Weitere Themen:

  • Tag gegen den Lärm: Gehörschutz lohnt sich
  • Manipulation von Schutzeinrichtungen keine Chance geben
  • Erste Hilfe bei Hautkontakt mit Phenol

Themen aus der aktuellen Ausgabe


Arbeiten in unsicheren Zeiten

Ein Interview mit Latifa Baddour, INSITE Employee Smartness

Die vergangenen Jahre haben uns allen einiges abverlangt. Eine Pandemie, der Krieg in Europa, steigende Strom- und Gaspreise, Inflation. Zudem ist der stetige Wandel aus unserem Leben nicht mehr weg zu denken. Wir müssen uns ständig an neue Abläufe, Strukturen und Veränderungen anpassen. Was können Führungskräfte tun, um ihre Beschäftigten in diesen herausfordernden Zeiten zu unterstützen?

In Ihrer Tätigkeit haben Sie täglich mit vielen unterschiedlichen Personen zu tun. Haben die Entwicklungen der vergangenen Jahre etwas mit den Menschen gemacht? Was haben Sie festgestellt?
Baddour: Sowohl die Pandemie, die für uns alle einen Ausnahmezustand darstellte, als auch die darauffolgenden Krisen waren eine enorme Herausforderung. Bei vielen Menschen haben sich gesundheitliche oder psychische Probleme durch die Krisen intensiviert und konnten teilweise nicht rechtzeitig oder ausreichend behandelt werden. 

In der Beratungspraxis war zunächst ein Anstieg an Anliegen in den Bereichen Ängste, Süchte (insbesondere Alkoholmissbrauch) und Erschöpfung zu bemerken. Seit einiger Zeit gibt es eine Häufung an Klienten, die bereits viele Behandlungsversuche hinter sich haben oder sich noch in Behandlung befinden, allerdings keine Linderung erfahren. Dadurch stellt sich eine gewisse Hilflosigkeit und manchmal auch Verzweiflung ein. 

Was macht unsichere Krisensituationen so besonders im Vergleich zu anderen Belastungssituationen?
Baddour: Eine Krise zeichnet sich dadurch aus, dass es zu fremdbestimmten Veränderungen ohne klaren Ausgang kommt. In der Regel ist eine Krise damit verbunden, dass wir Vertrautes, Altbewährtes verlieren und uns auf eine unklare, unsichere Zukunft einlassen müssen. Eine Krise verlangt von uns, uns selbst zu verändern und uns den veränderten Bedingungen anzupassen. 

Dies kann bedrohlich auf uns wirken und zu Frust, Enttäuschung oder Resignation führen. Wir werden nicht gefragt, ob wir diese Veränderungen überhaupt wollen, und wir wissen zunächst einmal nicht genau, was und wie wir etwas verändern sollen. Es stellt sich also häufig eine Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit ein, die im Vergleich zu anderen Belastungssituationen herausfordernder sein kann. 

Was können Unternehmen tun, um hier aktiv ihre Beschäftigten zu unterstützen? 
Baddour: Unternehmen können grundsätzlich für ein gesundheitsorientiertes Arbeitsumfeld sorgen. Sie können Bedingungen schaffen, die es Beschäftigten ermöglicht, bei ihrer Arbeit gesund zu bleiben. Ganz konkret bedeutet das zum Beispiel für ausreichend Personal zu sorgen, auf die Einhaltung der Arbeits- und Pausenzeiten zu achten, und einen guten Umgang miteinander zu kultivieren. 

Zudem können Unternehmen durch ein solides Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) einen wesentlichen Beitrag zur psychischen Gesundheit von Beschäftigten in unsicheren Zeiten leisten. Insbesondere die Schulung von Führungskräften zu gesundem Führungsverhalten und zum Umgang mit belasteten Beschäftigten stellt dabei eine wichtige Säule dar. Ein gut funktionierendes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), ist generell ein wichtiger Baustein eines guten Gesundheitsmanagementsystems und insbesondere auch in unsicheren Zeiten.

Und welche Schlüsselkompetenzen gibt es, um unsichere Zeiten erfolgreich zu meistern, die man als Arbeitgebender fördern kann?
Baddour: Zu den wichtigen und hilfreichen Kompetenzen in unserer sehr dynamischen Arbeitswelt gehören zum Beispiel die Fähigkeit, sich selbst gut zu organisieren. Die eigenen Kräfte gut einzuteilen, Entscheidungen zu treffen und mit Veränderungen umgehen zu können. Eine Schlüsselfähigkeit ist auch die Pflege der eigene Erholungsfähigkeit. 

Hier können Arbeitgebende intellektuell unterstützen, beispielsweise durch Seminare, Webinare oder Workshops. In einer guten Arbeitsumgebung können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auch sozial unterstützen durch Tandem-Arbeiten, kollegiale Beratung und die Vorbildfunktion der Führungskräfte. 

Was können denn Führungskräfte ganz konkret tun, um ihre Beschäftigten in dieser Zeit zu unterstützen? 
Baddour: Den Kontakt zu allen Teammitgliedern halten und pflegen, nahe dran sein an jedem und jeder Einzelnen und flexibel auf die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen der Beschäftigten eingehen. Was genau braucht jemand, um gut arbeiten zu können? Es können flexiblere Arbeitszeiten sein, mehr Homeoffice oder mehr Bürotätigkeit, ein Sprachkurs oder eine IT-Schulung oder vielleicht eine EAP-Beratung. 

Was kann jeder für sich selbst tun oder auch für seine Kolleginnen und Kollegen?
Baddour: Wir können auf Frühwarnsignale für Überlastung achten. Hierzu gehörten zum Beispiel anhaltende Gereiztheit, Konzentrationsprobleme und damit verbunden die Häufung von Fehlern oder Schlafprobleme über einen längeren Zeitraum. Wenn wir in der Lage sind, diese Warnsignale wahrzunehmen und sie auch als solche zu deuten, dann haben wir einen wesentlichen Schritt geschafft. Denn häufig bringt uns eher der Umstand, dass wir Frühwarnsignale nicht erkennen oder nicht ernst nehmen in eine dauerhaft gesundheitliche Schieflage.

In einer akuten Situation, in der wir Unsicherheit oder Angst auch körperlich fühlen, können wir uns zum Beispiel durch Atemtechniken oder Bewegung beruhigen. Mittelfristig sind sowohl Entspannungstechniken (wie Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Meditation, Achtsamkeitsübungen oder Ähnliches) als auch Bewegung im Alltag regelmäßig einzuplanen. Dazu gibt es vielfältige Anregungen auf unserer Webseite oder auf den Seiten der Krankenkassen. 

Um Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit in unsicheren Zeiten entgegenzuwirken, kann es auch hilfreich sein, diese durch Wissen zu reduzieren. Beschäftigte, die zum Beispiel ein Webinar zum Umgang mit Unsicherheit, Veränderungen oder Krisensituationen besuchten, berichteten, dass ihnen dieses neu gewonnene Wissen helfe, ihre eigene Situation besser zu verorten. 

Eine hohe Wirksamkeit hat zudem die soziale Unterstützung. Menschen in meinem Umfeld, mit denen ich meine Sorgen und Gedanken teilen kann, die mich so annehmen wie ich bin und mich unterstützen, sind in schwierigen Zeiten sehr wichtig. Daher ist es bedeutsam, dies Kontakte zu pflegen und zu erhalten. 
 


Erholungskompetenz: Dürfen. Können. Wollen.

Heutzutage kann es schwierig sein, sich ausreichend zu erholen. Besonders wenn wir mit vielen Verpflichtungen aus Arbeit, Familie, Ehrenämtern und so weiter konfrontiert sind. Erholungskompetenz ermöglicht die nötige Regeneration. Aber was genau bedeutet das und wie können wir Erholungskompetenz fördern?

Der in der Pädagogik verwendete Begriff „Kompetenz“ beschreibt den Übergang von Wissen in erfolgreiche Handlungen. Das setzt voraus, neben dem Wissen (Können) zunächst die zeitlichen und räumlichen Voraussetzungen zu schaffen (Dürfen) sowie zur Umsetzung bereit zu sein (Wollen). Erst bei Erfüllung dieser drei Voraussetzungen, die sich gegenseitig bedingen können, zeigt sich auch Erholungskompetenz. 

„Dürfen“ wird durch vielfältige Pflichten im Alltag bedingt. Viel Zeit unseres Tages verbringen wir mit der Arbeit und mit Bedürfnissen wie Schlafen, Nahrungsaufnahme oder Körperhygiene. Auch bei der Verteilung der sogenannten Freizeit sind wir selten wirklich frei, zum Beispiel wegen familiärer Pflichten oder Ehrenämtern. Verbinden Sie für mehr Erholung das Angenehme mit dem Nützlichen. Das gilt auch in der Arbeitswelt: Arbeitgebende sollten Rahmenbedingungen gestalten, in denen Handlungsspielräume für Abwechslung und bedarfsgerechte Mikropausen über die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen hinaus ermöglicht werden. Tipps für eine gelingende Arbeitszeitorganisation im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung finden Sie in der Publikation des Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung Nordrhein-Westfalen.

Hier geht es zur Publikation. 

Der Faktor „Können“ beinhaltet Wissen um alles, was mit Erholung zu tun hat. Dazu zählen die Fähigkeiten, den eigenen beeinträchtigten Zustand zu erkennen, einzuschätzen und körperlich sowie geistig auszugleichen. Dabei ist Erholung nicht nur „entspannen“. Auch Erfolgserlebnisse tragen zur Erholung bei. Wesentlich ist es, selbst über die Zeit zu bestimmen und von den Belastungen auch mental abzuschalten. Schon die Möglichkeit eines arbeitsbezogenen Anrufs kann das Abschalten verhindern. Schalten Sie daher das Handy auch mal auf stumm und legen Sie es beiseite. 

„Wollen“ beinhaltet die Umsetzungsbereitschaft. Viele Menschen haben vermeintlich wichtigere Ziele als Erholung, streben nach Anerkennung und Anschluss. Setzt unser Umfeld den Fokus auf Leistung, im Arbeitskontext oft üblich, beeinflusst das unsere eigenen Ziele. Pausen im Arbeitsalltag fördern die Konzentration und die Leistung insgesamt. Planen Sie sie schon zu Beginn des Arbeitstags fest ein! Und was hilft gegen das schlechte Gewissen, wenn wir uns statt um die Pflichten mal nur um uns kümmern? Der Verweis auf den Leistungssport: Pausen werden dabei gezielt eingesetzt, um Höchstleistung zu ermöglichen. Rufen Sie sich das in Erinnerungen und nutzen Sie gezielte kleine Übungen, um Ihre Leistung zu steigern und Ihre Gesundheit langfristig zu erhalten. Beispielübungen finden Sie beim Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung Nordrhein-Westfalen.

Hier geht es zur Webseite des Landesinstituts. 

Wenn wir dauerhaft nicht genug Erholung finden, kann dies zu einem Teufelskreis führen, in dem der erlebte Stress sich immer weiter aufschaukelt. Dann droht im Extremfall eine Ausfallzeit, weil sich der Körper manchmal sehr machtvoll äußert, zum Beispiel mit andauernder Erschöpfung und Schlafstörungen, anhaltenden Schmerzen und im schlimmsten Fall vielleicht sogar mit einem Burn-out. Deshalb ist es entscheidend, frühzeitig an der Erholungskompetenz zu arbeiten, um langfristig Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten. Fangen Sie also jetzt an, Ihre Erholungskompetenz zu stärken, bevor es zu spät ist. Denn nur so können Sie Ihre Kräfte effektiv regenerieren und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung finden. 

Lisa Schüßler, Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen
 


Bei STOCKMEIER Urethanes: viele gute Maßnahmen

Das Mitgliedsunternehmen STOCKMEIER Urethanes führt seine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung mit psyBel Team durch, dem Workshopverfahren der BG RCI.

Die Firma STOCKMEIER Urethanes mit Sitz in Lemgo gehört zur STOCKMEIER Gruppe und ist seit über 30 Jahren mit der Herstellung hochwertiger Polyurethansysteme weltweit am Markt tätig. In Lemgo arbeiten circa 70 Beschäftigte in produzierenden Bereichen, den Laboren sowie der Verwaltung. 

Mitte 2022 startete das Unternehmen mit der selbständigen Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Lara Kunau, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Melanie Lindecke aus dem Bereich Verwaltung und Timo Laucks als Betriebsleiter leiteten das Projekt und waren die Ansprechpersonen für die Führungskräfte und Beschäftigten. Hier berichten die drei über ihre Erfahrungen mit der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung und dem Workshopinstrument psyBel Team.  

Das Workshopverfahren
STOCKMEIER Urethanes hatte in der Vergangenheit bereits verschiedene schriftliche Befragungen durchgeführt. „Das war eher so ein Abhaken für die Beschäftigten. Die Belastungsfaktoren waren nicht greifbar, die Bildung von passenden Maßnahmen dadurch deutlich erschwert. Dieses Mal wollten wir es anders machen“, erläutert Timo Laucks. Das neue psyBel Team Workshopverfahren der BG RCI kam da gerade recht. 

Die Vorteile des Workshopverfahrens beschreibt Melanie Lindecke: „Es waren drei richtig produktive Stunden. Die Gruppe setzte sich zielführend mit den Themen auseinander. Das schaffte Transparenz für die Beschäftigten. Positiv war auch, dass Lösungsideen aus dem Workshop 1:1 direkt umgesetzt wurden.“ 

STOCKMEIER Urethanes beteiligte sich an der Evaluationsstudie der BG RCI zum psyBel Team Verfahren. Dafür unterstützte die BG RCI durch die Einweisung in das Instrument. Es wurde gemeinsam ein erster Workshop mit den Führungskräften durchgeführt, um den Prozess kennenzulernen. Die weiteren Schritte und Workshops führte das Unternehmen eigenständig durch. Für die Evaluation fand im Nachgang eine telefonische Befragung zum Instrument und den Materialien statt. 

Die Umsetzung
„Nach dem Führungskräfteworkshop war für alle klar, wir wollen das Konzept in allen Bereichen umsetzen“, sagt Lara Kunau. Alle Beschäftigten wurden von Geschäftsführer Markus Lamb über das Projekt per E-Mail beziehungsweise über Aushänge informiert. Die Verbesserung von Arbeitsbedingungen wurde dabei als Ziel herausgestellt und es wurde klargemacht, dass es nicht um die Lösung individueller Probleme geht. Hierfür hat das Unternehmen schon vor einigen Jahren ein Employee Assistance Program (EAP), ein unabhängiges und ganzheitliches Beratungsangebot für Beschäftigte, etabliert. Die Teilnahme am Workshop war für alle Beschäftigten freiwillig.

Neben dem Workshop für die Führungskräfte wurden noch zwei weitere Workshops durchgeführt - einmal für den Bereich Betrieb, bestehend aus Produktion, QS-Labor, Logistik, und einmal für den Bereich Verwaltung, Ein- und Verkauf sowie Entwicklung. Durch die Zusammenlegung unterschiedlicher Abteilungen konnte ein besseres gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen Aufgaben und Herausforderungen geschaffen werden.

Probleme konnten neu beleuchtet werden, auch wenn nicht immer eine Ideallösung gefunden wurde. So wurde im Workshop festgestellt, dass es im Außendienst nicht immer möglich ist, bestimmte Dinge beim Innendienst per Mail anzufragen. Auch sind dort bestimmte Informationen in kurzer Zeit erforderlich, um kundenorientiert arbeiten zu können. Wichtig sind kurze Absprachen per Telefon, auch wenn die Beschäftigten im Innendienst dadurch in ihrer Arbeit unterbrochen werden. Durch den Workshop war es dem Innendienst möglich, die Arbeitsweise des Außendienstes besser einzuordnen und dafür Verständnis zu zeigen.   

Im psyBel Team Workshop werden die Gefährdungen durch psychische Belastung mit bis zu zehn Beschäftigten ermittelt und dann beurteilt. Wichtig ist die freiwillige Teilnahme am Workshop. Bei STOCKMEIER Urethanes nahm zum Beispiel stellvertretend der Sicherheitsbeauftragte aus der Produktion teil. Dieser hatte zuvor die Kolleginnen und Kollegen befragt, welche Themen aus ihrer Sicht wichtig sind und besprochen werden sollten. Die Workshops fanden immer ohne Beteiligung der jeweiligen Führungskraft statt. „Die Beschäftigten sind dann offener. Es ist und bleibt die Führungskraft, auch wenn das Verhältnis gut ist“, sagt Lara Kunau.

Es gab auch Themen, die schon lange diskutiert wurden, und für die es im Unternehmen bisher keine Lösung gab; zum Teil auch, weil sie in der Vergangenheit nicht mit hoher Priorität behandelt wurden. „Wenn ein Thema in unterschiedlichen Workshops angesprochen wird, dann muss eine Lösung gefunden werden“, sagt Timo Laucks. Beispielsweise hatten sich in der Vergangenheit schon mehrere Beschäftigte über den nicht ausreichenden Sonnenschutz beklagt. „Jetzt konnten wir sehen, wie wichtig den Mitarbeitenden das Thema ist. Und wir haben eine Lösung mit Hilfe von Lichtschutzfolien gefunden“, erzählt der Betriebsleiter. 

Das Ergebnis
Wichtig ist die Risikobeurteilung der Belastungssituation am Ende des Workshops. Die eingebrachten Belastungssituationen werden nochmals nach ihrer Dringlichkeit für die Beschäftigten eingestuft. „Manchmal dachte ich, die Belastungssituation ist für die Beschäftigten hoch. Durch das gemeinsame Gespräch im Workshop wurden Probleme teilweise aus einer anderen Perspektive dargestellt. Somit konnten sich die Kollegen in diese Situation hineinversetzen und Verständnis für die Situation gewinnen. Am Ende zeigte sich, dass die Belastungssituation für die Beschäftigten doch nur niedrig und damit nicht so relevant war“, berichtet Lara Kunau.

Die Maßnahmen wurden immer gemeinsam im eingerichteten Steuerungskreis unter Beteiligung einzelner Führungskräfte und der Geschäftsleitung festgelegt. Durch die Beschreibungen aus den Workshops konnten die Mitglieder des Steuerungskreises die Probleme gut einschätzen. „Manchmal haben wir lange diskutiert, um zu einer guten Maßnahme zu kommen“, berichtet Melanie Lindecke. „Das war ein wichtiger Prozess, auch wenn die Ideen der Beschäftigten nicht immer vollständig umgesetzt werden konnten.“ Manche Maßnahmen zur gesunden Gestaltung der Arbeitsbedingungen brauchen Zeit. „Im Arbeitsschutz ist immer ein langer Atem wichtig. Zudem müssen Gelder für bestimmte Maßnahmen freigegeben werden.“, sagte Lara Kunau.

Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen war die Unterstützung von Geschäftsführer Markus Lamb, der am Vorhaben bis hin zur Umsetzung aktiv beteiligt war. Wichtig war die frühzeitige aktive Einbindung des Betriebsrates sowie des Steuerungskreises in Verbindung mit dem Arbeitsschutzausschuss. Dieser trifft sich nach wie vor alle drei Monate und überprüft die Umsetzung der Maßnahmen. Markus Lamb ist sich sicher: „Die Teilnahme an den psyBel Workshops hat dazu beigetragen, das Bewusstsein für die psychische Gesundheit unserer Belegschaft zu erhöhen.“

„Als Fachkraft für Arbeitssicherheit habe ich nach dem Projekt einen besseren Bezug zu den kaufmännischen Beschäftigten“, sagt Lara Kunau. Sie wird das Projekt jetzt auch auf andere Firmen der STOCKMEIER Gruppe ausrollen. Das wird ein Stück weit eine Herausforderung, weil es wichtig ist, in größeren Betrieben den Überblick zu behalten. 

Wenn Sie Interesse am psyBel Team Workshopverfahren haben, dann schreiben Sie uns unter psyBel(at)bgrci.de. Weitere Informationen finden Sie im Präventionsbereich. 

Zu psyBel wechseln

Betty Willingstorfer, BG RCI, mit STOCKMEIER Urethanes, Lemgo


Bei Linde Gas: Ohne die Führungskräfte geht nichts

Die Linde GmbH Gases Division Deutschland führt ihre Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung mit dem Onlinetool psyBel Befragung der BG RCI durch.

Klaus Tech, HSE-Manager bei Linde Gas, und Camila Ordonez, Gesundheitsmanagerin, wissen: Ohne die aktive Einbindung der Führungskräfte in den Prozess der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist ein Erfolg kaum möglich. 

Linde Gas beschäftigt circa 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verteilt auf viele unterschiedliche Standorte in ganz Deutschland. Ende 2022 hat das Linde Gase-Produktionszentrum Leuna als Pilot damit begonnen, die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung mit dem Online-Tool psyBel Befragung durchzuführen. 2023 wurden Stück für Stück weitere Standorte einbezogen. Insgesamt 600 Beschäftigte haben bis Ende des vergangenen Jahres an der Befragung teilgenommen.

Inzwischen hat sich unter den Führungskräften bei Linde Gas herumgesprochen, dass die Ergebnisse der schriftlichen Befragung für sie eine gute Orientierung sind und deutliche Hinweise geben, was gut läuft und wo Verbesserungsbedarf besteht. Simon Netter, Führungskraft bei Linde, beschreibt es wie folgt: „Ich hatte schon länger das Gefühl, dass wir die Gefährdungen bezüglich der physischen Belastung gut im Blick haben, die psychische Belastung aber nicht immer genug betrachtet wird. Ich wusste aber nicht, wie ich das Thema mit meinem Team strukturiert angehen kann. Deshalb war der moderierte Prozess eine große Hilfe. Sowohl die gute offene Diskussion als auch die vielen konkreten Ergebnisse haben mich positiv überrascht.“

Um zu guten und zielgerichteten Ergebnissen zu kommen, werden die Führungskräfte zu Beginn des Prozesses in einem persönlichen Gespräch über das Vorgehen und die Ziele informiert. Damit können sie die Ergebnisse besser akzeptieren. Im Anschluss werden die schriftlichen Resultate mit der jeweiligen Führungskraft besprochen. Durch die Ampelstruktur der Ergebnisdarstellung kann sofort erkannt werden, wo Handlungsbedarf besteht.

Die Klarheit der Ergebnisse und die Sichtbarkeit des Handlungsbedarfs, die aus dem Online-Tool psyBel Befragung resultieren, sind laut Klaus Tech entscheidend dafür, dass die Führungskräfte die Probleme erkennen und die Arbeitsgestaltung aktiv angehen. Immer wenn es Ergebnisse im „roten“ Bereich gibt, folgt ein Maßnahmenworkshop nach dem Workshopkonzept der BG RCI. Darin werden die einzelnen kritischen Situationen gemeinsam besprochen und Ideen für Maßnahmen gesammelt. Im Anschluss leitet die jeweilige Führungskraft aus den Workshopergebnissen in Absprache mit den Beschäftigten konkrete Maßnahmen ab.

Wichtig sind auch das schrittweise Vorgehen und die Einhaltung des Prozesses, der sich mit der Betrachtung jedes neuen Tätigkeitsbereiches verbessert. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist ein Entwicklungsfeld, das in die bestehenden Strukturen eines Betriebes integriert werden sollte. Das gegenseitige Lernen aus den Maßnahmen der anderen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Besondere Bedeutung für den Erfolg hat auch der „Steuerungskreis psychische Gefährdungsbeurteilung“. Dieser besteht aus jeweils einem Vertreter oder einer Vertreterin der Bereiche Gesundheitsmanagement, Human Ressources, Betriebsrat, betriebsärztlicher Dienst und HSE (Health, Safety, Environment). Teil des Steuerungskreises ist auch die Geschäftsleitung, deren Unterstützung entscheidend ist. Klaus Tech und Camila Ordonez gehen davon aus, dass der Prozess für die gesamte Linde Gas AG etwa drei Jahre dauern wird.

Betty Willingstorfer, BG RCI, mit Linde Gas AG
 


Wenn die persönliche Lebenswelt durcheinandergewirbelt wird…

Menschen, die mit einem traumatisierenden Ereignis konfrontiert wurden, haben ein erhöhtes Risiko für das Entstehen von negativen psychischen Folgen.

Ein psychischer Gesundheitsschaden nach einem traumatisierenden Ereignis kann – auch ohne eine gleichzeitige körperliche Verletzung – ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung sein.

Renate H. arbeitet als Verkäuferin in einem Matratzengeschäft. An einem Donnerstag, kurz vor Ladenschluss, bedroht sie ein vermeintlicher Kunde mit einem großen Messer und zwingt sie, ihm das Geld aus der Kasse auszuhändigen. Danach schließt er sie in einen fensterlosen Lagerraum ein. Erst am nächsten Morgen wird sie von einer Kollegin befreit. Renate H. hat in den folgenden Tagen Albträume und Panikattacken. Sie muss ständig an die große Klinge des Messers und ihre Angst denken.

Horst M. arbeitet mit seinem langjährigen Kollegen Manfred S. im Produktionsbereich eines Betriebs der chemischen Industrie. Während der Nachtschicht kommt es zu einer kleinen Explosion. Manfred S. wird durch ein umhergeschleudertes Metallstück am Kopf getroffen, blutet stark und ist bewusstlos. Die vom Rettungsdienst noch im Betrieb vorgenommenen Reanimationsversuche sind erfolglos. Horst M. ist wie durch ein Wunder nicht körperlich verletzt worden. Ihm gehen jedoch die Bilder von seinem blutüberströmten Kollegen nicht mehr aus dem Kopf.

Menschen, die mit einem traumatisierenden Ereignis konfrontiert wurden, sind einem erhöhten Risiko für das Entstehen von negativen psychischen Folgen ausgesetzt. Für solche außergewöhnlichen und psychisch belastenden Ereignisse fehlen den meisten Menschen adäquate Handlungsroutinen und Kompensationsmechanismen. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, das Erlebte zu verarbeiten. Durch das plötzliche Miterleben eines traumatischen Geschehens wird der gewohnte Alltag aus den Angeln gehoben.

Eine psychische Reaktion kann – auch ohne eine gleichzeitige körperliche Verletzung – ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung sein. Um als Versicherungsfall anerkannt und entschädigt zu werden, muss eine psychische Störung aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit entstanden sein. Das konkrete psychische Krankheitsbild muss als Gesundheitsschaden nach einem anerkannten Diagnoseschlüssel objektiviert sein. Außerdem muss die festgestellte psychische Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich (mit-)ursächlich auf einem konkreten Unfallereignis beruhen.

Im Zusammenhang mit körperlichen Verletzungen durch Arbeitsunfälle können ein verzögerter Heilungsverlauf, Komplikationen, das Scheitern bei einer Belastungserprobung, aber auch persönlich belastende Kontextfaktoren wichtige Hinweise auf eine „psychische Komponente“ sein und Anlass zu Interventionen geben. Dies wird im Rahmen des Heilverfahrens berücksichtigt. Eine manifestierte Posttraumatische Belastungsstörung, die maßgeblich durch ein betriebliches Ereignis verursacht worden ist, kann einen Rentenanspruch begründen.

Damit es gar nicht erst soweit kommt, setzen die Unfallversicherungsträger auf frühzeitige Intervention und Behandlung. Bei der Wiederaufnahme der Arbeit werden psychisch Betroffene individuell unterstützt. Dies kann durch den Betrieb erfolgen oder – im Rahmen des Reha-Managements – durch die BG RCI.

Phasen der Trauma-Verarbeitung
Schockphase

Direkt nach dem Extremerlebnis befinden sich traumatisierte Personen in einer Art Schockzustand. Das liegt daran, dass die eigene Erlebnis- und Gefühlswelt komplett ins Wanken geraten ist. In dieser Phase wollen die Betroffenen häufig nur den Ort des schlimmen Erlebnisses verlassen; einige brauchen die Nähe von vertrauten Menschen, andere erst mal Zeit, um sich zurückziehen zu können. Man geht davon aus, dass die Schockphase mehrere Tage andauern kann.

Eine Unterstützung in der Akutphase durch Kriseninterventionsteams (KIT) der örtlichen Rettungsdienste, psychologische Ersthelferinnen und -helfer oder Notfallpsychologinnen und -psychlogen kann dabei helfen, mit dem Erlebten umzugehen. Die Erstbetreuung unterliegt meist nicht dem Einflussbereich der BG RCI. Hier sind die regionalen Rettungsdienste die Helfer der ersten Stunde. Deshalb ist eine rasche direkte Information über das Extremereignis an die BG RCI wichtig, um das weitere Vorgehen koordinieren und mit den Beteiligten abstimmen zu können.

Stabilisierungs-/Verarbeitungsphase
In der anschließenden Verarbeitungsphase setzen die Selbstheilungskräfte ein. Das Erlebte kann so verarbeitet beziehungsweise in die Lebensbiografie eingeordnet werden, dass es nicht zu einer dauerhaften Belastung wird.

Die Verarbeitung eines Traumas benötigt Zeit. Art und Schwere des Traumas sowie die individuelle Prädisposition der Betroffenen spielen dabei eine maßgebliche Rolle. Die meisten Betroffenen finden nach und nach in den vertrauten Lebensalltag zurück. Bei anderen zeigen sich auffällige Reaktionen, die professionelle Hilfe in Form von psychotherapeutischer Unterstützung nötig machen.

Die Verarbeitungsprozesse sind so individuell, wie die Menschen verschieden sind. Falls Unterstützung bei der Stabilisierung für einen größeren Personenkreis benötigt wird, zum Beispiel nach einem Explosionsereignis im Betrieb mit vielen Verletzten, kann diese in Gruppen- oder Einzelgesprächen erfolgen. Solche Gespräche sollen – auch aus logistisch-organisatorischen Gründen – im Betrieb stattfinden. Die BG RCI bietet im Bedarfsfall an, Stabilisierungsgespräche über eine BG-Klinik oder einen spezialisierten Dienstleister zu beauftragen. Hier ist es ausreichend, wenn das Gespräch zwei bis 14 Tage nach dem Ereignis durchgeführt wird.

Weiterbehandlung
Sofern die ersten psychotherapeutischen Maßnahmen nicht ausreichen, werden die Betroffenen zudem vom Reha-Management der BG RCI betreut und unterstützt. Auch wenn bei potenziell Betroffenen erst später Auffälligkeiten bemerkt werden, ist eine Information an die Berufsgenossenschaft wichtig. Eine Übersicht der zuständigen Regionaldirektionen finden Sie im Reha-Bereich.

Zu den Kontaktadressen der Regionaldirektionen wechseln

Das Psychotherapeutenverfahren
Die Unfallversicherungsträger haben 2012 ein besonderes Verfahren eingeführt, das die zeitnahe Durchführung psychotherapeutischer Betreuung ermöglicht: das Psychotherapeutenverfahren. Es regelt auf die Unfallversicherung zugeschnittene Zulassungsanforderungen und Rahmenbedingungen, damit die UV-Träger ihren Versorgungsauftrag mit allen geeigneten Mitteln erfüllen können.

Es ermöglicht eine niederschwellige und vor allem zeitnahe Unterstützung von Betroffenen, damit es bei psychischen Ausnahmesituationen nicht zu einer chronischen Störung kommt. Betroffene erhalten innerhalb von ein bis zwei Wochen nach Behandlungsauftrag eine schnelle psychologische Betreuung beziehungsweise eine störungsspezifische Psychotherapie. Wichtig: Zeitnahe therapeutische Hilfe beziehungsweise Behandlung hat Vorrang vor der komplexen Kausalitätsprüfung. Die rasche Einleitung von fünf probatorischen Sitzungen hilft den Betroffenen. Sie dienen einerseits der Stabilisierung, andererseits tragen sie zur Klärung der Diagnose und des weiteren Behandlungsbedarfs bei. Das Stellen einer validen Diagnose ist wichtig für weitere Behandlungsmaßnahmen.

Bundesweit sind gut 800 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit besonderen Kenntnissen in der Traumabewältigung eingebunden. Die gesetzliche Unfallversicherung möchte dieses Netzwerk weiter stärken. In der Pandemiezeit erprobte Videosprechstunden können dabei helfen, eine Versorgung auch in strukturschwächeren Regionen anzubieten.

Die Praxis der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die niederschwellige psychologische Intervention beziehungsweise die zeitnahen psychotherapeutischen Maßnahmen bei der Mehrzahl der Betroffenen erfolgreich sind. Aktuelle Zahlen belegen, dass knapp 50 Prozent mit fünf probatorischen Behandlungssitzungen und fast 30 Prozent mit maximal weiteren zehn Therapiesitzungen auskommen. Nur in zehn Prozent der Fälle werden mehr als 30 Behandlungseinheiten benötigt. Versicherte, bei denen eine längerfristige Behandlung notwendig ist, werden engmaschig im Reha-Management betreut.

Die berufsgenossenschaftlichen Kliniken verfügen über sogenannte Psychotrauma-Ambulanzen, die das ambulante Versorgungnetzwerk des Psychotherapeutenverfahrens ergänzen. Ihnen kommt eine zentrale Rolle im Netzwerk der Patientenversorgung von Unfallversicherungsträgern, Durchgangsärzten und -ärztinnen sowie ambulanten Psychotherapeuten und -therapeutinnen zu. Für die psychologischen Dienste der berufsgenossenschaftlichen Kliniken ist die Diagnostik und Behandlung ambulanter Patientinnen und Patienten im Rahmen des Psychotherapeutenverfahrens zunehmend ein Schwerpunkt neben der Betreuung der stationären Patientinnen und Patienten in Akutversorgung und Rehabilitation.

Ruth Macke, BG RCI